Am 12.8. geht das Training nur bis 20 Uhr, danach gibt’s Fotos!
Sechs Jahre war die letzte Kobudo-WM her. Seitdem war ich 2013 noch einmal zum Training auf Okinawa. Diesmal stand aber etwas Großes an – die erste reine Kobudo-Weltmeisterschaft, die sich selbst als “Okinawa Traditional Kobudo World Tournament” verstand und auf die ich mich 9 Monate lang vorbereitet habe. Aber der Reihe nach.
Am Sonntagnachmittag ging es mit dem Zug nach Nordhausen, von wo aus ich mit meinen ehemaligen Trainingskameraden aus dem KDK Nordhausen, Doreen Schilling, Viktor Vollmer und Sensei Frank Pelny, am Montag morgen um 5 Uhr nach Frankfurt aufbrach. Dort trafen wir dann auch auf die Hallenser unter Sensei Sebastian Edelmann. Der elfstündige Flug nach Tokyo war langweilig, mein Sitznachbar hat geschlafen und ich wollte aus Höflichkeit kein Licht anmachen. Das war’s dann mit der Lektüre (Gulliver’s Travels – empfehlenswert!)…
Ohne geschlafen zu haben stiegen wir dann in Tokyo rasch zum Flug nach Naha, Okinawa, um, wo wir dann am Dienstag Mittag landeten. Tamayose Sensei holte uns mit seiner Familie am Flughafen ab. Es war unheimlich schön, Sensei wieder sehen zu können. Auch unsere russischen und belorussischen Freunde Pawel Dolgatschow sowie Sergej und Igor Mirutenko sowie Konstantin Deryahin kamen nahezu zeitgleich mit uns an. Die erste Fahrt führte uns zu Shureido, dem führenden Karate-Sachenhersteller überhaupt. Wir haben den Laden gefühlt leer gekauft: Gi, Waffen, Bücher sowie einige Accessoires. Mein Portmonnaie ist bedeutend leichter geworden. Dann ging’s ins Hotel, das diesmal mitten in der Stadt nahe der Kokusai Dori, der Einkaufs- und Touristenmeile schlechthin, gelegen war. Am Dienstag ist ansonsten nichts weiter geschehen, außer dass wir uns durch das Tee- und Saftrepertoire der Getränkeautomaten gekostet haben – was blieb uns anderes übrig bei 45°C im Schatten, standen diese Geräte doch wirklich an jeder Straßenecke. Mich haben der Sanbincha (kalter Jasmintee), der Milchtee (göttlich) und die Aloe-Vera-Getränke wie jedes Jahr in ihren Bann gezogen.
Am Mittwoch fand das erste vierstündige Training im Budokan gemeinsam mit unseren Freunden aus den USA, Kanada, Japan und Hessen0 statt. Es war unglaublich heiß und die erste Stunde Bo-Kihon war unheimlich anstrengend. Den Rest des Trainings nutzten wir zur individuellen Wettkampf- und Prüfungsvorbereitung unter den wachsamen Augen Tamayose Senseis. Vollkommen geplättet verließen wir dann den Budokan, wo wir übrigens noch ein paar weitere Größen wie Sakumoto Tsugou, Yogi Josei und Hamamoto Sensei (ein Schwertmeister mit einem beeindruckenden Bart) trafen. Den Nachmittag verbrachten wir mit der Suche nach Stempelschneidern und Nahrung. Abends haben wir uns im kleinen internationalem Team auf die Suche nach der berühmten Dojo-Bar gemacht und uns dort gleich an der Wand verewigt. Im Großen und Ganzen sahen der Donnerstag und Freitag sehr ähnlich aus. Diesmal hatten wir kaum Freizeit, haben es aber dennoch geschafft, denen, die zum ersten Mal mit dabei waren, noch ein paar Sehenswürdigkeiten zu zeigen.
Am Freitag registrierten wir uns für das Turnier. Das Gebäude, der Naha Shimin Taikukan, war ein riesiger Betonbunker von angsteinflößender Dimension. Es gab ein paar Willkommensgeschenke und von Sensei die Anweisung, dass wir uns ausruhen sollten.
Am Sonnabend ging es dann in aller Frühe zum Turnier. Waffen wiegen, antreten, Reden hören (zum Glück wurden sie übersetzt), klatschen, warm machen – so sahen die ersten zwei Stunden aus. Meine Gruppe, männliche Erwachsene Sai-Kata, war die erste. Viele Japaner aus dem Bunbukan und Hozon Kai, Matayoshi Ryu und Ryukonkai, Vietnamesen und Kanadier sowie Basti und Pawel aus meinem Team, dem Tesshinkan, waren also meine Konkurrenz. Pawel und ich waren im gleichen Pool. Als ich mir die Gesichter so ansah, fiel mir auf, dass ich einige von denen schon auf Youtube gesehen habe und diese Leute sehr gut waren. Ein wenig schwand mir also mein Mut. Ich wollte ja wenigstens die Vorrunde schaffen. Nach der ersten Runde, ich liefe Hamahiga-no Sai, kam ich mit Pawel in die nächste. Gewertet wurde mittels Punktesystem, was bei einer Meisterschaft, bei der verschiedene Schulen teilnehmen, das sinnvollste ist. Interessant ist in dem Zusammenhang auch das Wort “Traditional”, was sich die Turnierleitung auf die Fahne geschrieben hat. Waffenkata können nicht wie die Katas von Rika Usami oder Luca Valdesi ausgeführt werden, wenn man die Techniken richtig ausführen will – dafür sind die Waffen zu schwer (es gab Mindestgewichte: einzelne Sai >650g, Bo >900g). Am besten lässt es sich beschreiben, wenn man die Begriffe “flashy” (wie in den Extreme Martial Arts – Show) und “down to earth” einander gegenüberstellt. Natürlich wurden Pausen gemacht, manche Techniken langsam ausgeführt usw. Aber man gab sich der Lächerlichkeit nicht preis und schrie nicht bei jeder Technik.
Dann war ich jedenfalls dran. Als zweite Kata, die wir bereits im Februar bestimmen mussten, habe ich damals Tawata-no Sai gewählt, die unheimlich lang, aber nicht allzu spektakulär ist (und meine nächste Prüfungskata ;)). Ich wollte sie einfach mal ausprobieren. Am Ende wurden die Punkte vergeben. Basti hat es auf Rang 6 und Pawel auf Rang 7 geschafft. Gegen Pawel bin ich schon öfter bei unseren EM angetreten. Mal hat er, mal hab ich gewonnen. Zu meiner größten Überraschung hatte ich die meisten Punkte erreicht. Allerdings nicht allein. Ich war mit einem Japaner aus dem Bunbukan gleichauf. Wir hatten beide gleichgroße niedrigste und höchste Wertungen. Also Stichrunde. Er begann. Zu meiner großen Freude lief auch er Tawata-no Sai – und er lief sie gut. 26,10 bekam er dafür. Jetzt war ich dran: Hamahiga-no Sai. Warten, warten bis die Kampfrichter die Punkttafeln fertig hatten. Wertung! Wieder warten, warten bis die Punkte addiert waren und gezeigt wurden: 26,10. Der Tischbesatzung und den Kampfrichtern entfuhr ein kurzes Lachen. Ich verbeugte mich mit einem “Sumimasen” meinem Konkurrenten. Wir beide lachten und die Kampfrichter berieten sich eine Weile.
Ihre Entscheidung wurde auf Japanisch verkündet und mein Mitbewerber sah sehr erleichtert aus. Endlich wurde mir das Ergebnis auf Englisch mitgeteilt: Es gibt keinen zweiten Platz, wir teilten uns den ersten. Eine Entscheidung, die mir sehr gut gefallen hat. Es wurde gratuliert und einander die Hände geschüttelt. Das inoffizielle Motto des Wettkampfs war “Once we meet, we are brothers”. Dieses Gefühl hat sich wirklich bei allen ausgebreitet und es war unheimlich schön. Die anderen Tesshinkan-Leute habe sich bei den Wettkämpfen ebenfalls sehr gut geschlagen, so dass wir am Ende drei erste Plätze, und zwei zweite sichern konnten sowie einige dritte. Weitere Ergebnisse finden sich auf der Tesshinkan-Website.
Als letztes stand noch das Bo-Shiai an. Darauf habe ich mich gefreut. Freikampf mit Rüstung! Unseren Kendoka sei Dank, habe ich auch seit einem halben Jahr mit Rüstung üben können. Doch kurz währte die Freude, bis ich die Rüstung dort anhatte. Ich konnte mich recht schlecht und fühlte mich wie das Michelinmännchen. Kopfschutz, Beinschutz, Brustpanzer und Suspensorium. Letzteres hat die Beinarbeit unheimlich eingeschränkt. Aber warum brauchen wir das überhaupt, das ist doch gar keine Zielregion! Im zweiten oder dritten Kampf, den ich sah, war ich dann doch froh eines zu tragen. Wie dem auch sei. Die Kämpfe verliefen recht brutal, verglichen mit dem, wie ich trainiert habe. In den englischen Turnierregeln stand etwas von “the head must be shaken by a strike” und “staggering after a thrust” bezüglich der Wertungskriterien. Ich hätte wissen können, was ich zu erwarten hatte. Meinen Kontrahenten, einen Kanadier, habe ich zwar zu Fall gebracht, aber er hat dann doch eindeutig gesiegt. Aus diesem Kampf habe ich Erfahrung und zwei große blaue Flecke mitgenommen – und die Lust es noch mal zu probieren. Pawel hat sich übrigens bis ins Finale gekämpft und fast gewonnen. Immerhin hat er es geschafft, seinen letzten Kontrahenten, einen Japaner, zu entwaffnen. Die Kämpfe waren unheimlich spannend und intensiv. Verletzt hat sich keiner.
Dann kam die Siegerehrung, ein paar Reden. Fertig. Tamayose Sensei, der unscheinbare und zurückhaltende, ja manchmal sogar schüchterne Mann, war unheimlich glücklich und scheute sich nicht, es zu zeigen.
Am Sonntag gab es dann am Morgen ein abschließendes Seminar mit Iha Kotaro und Nakamoto Masahiro: Verteidigung mit Nunchaku (und Handtuch) gegen Messerangriffe. Das war herrlich schmerzhaft, da sich mit Nunchaku auch sehr gut hebeln lässt und gewürgte Handgelenke furchtbar demotivierend sein können. Am Nachmittag gab es Gruppenvorführungen der einzelnen Schulen und Meister: Naginata und Motobu Udundi (in etwa okinawaisches Jujutsu) durch Yagi Isao, Eku (Ruder) von Kinjo Masakazu, Kama von Shimabukuro Tsuneo, Bo von Iha Kotaro, Nunchaku von Nakamoto Masahiro und Sai durch unseren Lehrer, Tamayose Hidemi. Am Abend fand die Abschiedsparty statt. Frank Pelny, sichtlich überrascht, wurde vom Vorsitzenden der Okinawa Kobudo Federation, Shimabukuro Tsuneo, für seine Verdienste um das Kobudo ausgezeichnet. Frank Pelny hat innerhalb von 15 Jahren das Ryukyu Kobudo Tesshinkan in Europa bekannt gemacht und das Ryukyu Kobudo in drei dicken, umfassenden Werken zusammengefasst. Diese Bücher habe heute weltweite Verbreitung.
Ich für meinen Teil war fasziniert – vom Essen sowieso – aber auch von den ganzen Leuten: Es waren viele berühmte Karatemeister anwesend, die ich aus Büchern und Videos etc kannte. Allen voran Kinjo Kiyohide und Higa Minoru. Auch einen Samurai (ja, einen echten) habe ich treffen können und wir haben uns eine gute halbe Stunde unterhalten. Übrigens ist Jena, wohl besonders durch Carl Zeiss und die Optik, auch in Japan bekannt.
Den Höhepunkt des Wettkampfes bildete allderings nicht so sehr der erste Paltz für mich bei Sai, sondern eher die persönlich Verabschiedung durch Präsident Shimabukuro, der mich nochmal eingehend beglückwünschte und, er hatte mir anscheinend auch zugesehen, und mir sagte, auf dem richtigen Weg zu sein. Tamayose Sensei stand sichtlich erfreut daneben. Diese aufrichtigen Glückwünsche gingen mir wirklich nah.
Das ist wohl ein guter Zeitpunkt, mich bei meinen Trainern zu bedanken. Für die Wettkampfvorbereitung danke ich vor allem Tamayose Sensei und Pelny Sensei für die technische Anleitung. Genauso bin ich aber auch den SSK-Karate-Trainern Thomas Budich, Mitja und Alex Suck Dank schuldig, da ich durch die drei einen neuen Zugang zum Kata-Training gezeigt bekam, der sich als sehr nützlich erwies. Dank geht genauso an meine Schüler, durch die ich für mich nochmal ein umfassendes Kihon-Training mit Sai absolvieren konnte sowie Wolfram und David für technische Hinweise und das Krafttraining.
Aber ausruhen konnte ich mich dann doch noch nicht. Am Montag fand das letzte Training statt und danach Prüfungen. Frank Pelny ist nun der erste Europäer mit dem 5. Dan im Ryukyu Kobudo Tesshinkan. Viktor und Doreen haben nun beide den dritten Dan im Kobudo (haben die mich doch noch eingeholt…). Ich habe mich der Prüfung zum dritten Dan im Shorin Ryu Karate gestellt und mit recht hoher Wertung bestanden.
Jetzt war erstmal Pause. Ein wenig war die Luft auch nach 6 Tagen raus. Am Montagabend fand bei Sensei die Abschiedsparty statt. Die Taxifahrt nach Azatô war recht abenteuerlich, aber eigentlich sind alle Taxifahrten auf Okinawa sehr abenteuerlich: manche schlafen am Steuer ein, manche fahren permanent 100km/h (offiziell 30 in der Stadt, 50 auf der Landstraße und 80 auf der Autobahn). Aber eines ist allen gemein: keiner weiß, wo es lang geht.
Die letzten zwei Tage wurden mit Sehenswürdigkeiten und Einkäufen gefüllt, bevor es am Donnerstag zurück ging.
Meine Glückwünsche und Dank an all meine Mitgereisten, Tamayose Sensei und meine Urlaubsvertretung!